Gott hat ein Gesicht

„Im Ruf der Heiligkeit gestorben“ – was heißt das? Man verwendet diesen Ausdruck in zärtlichem Respekt, manchmal wohl auch in frommer Sensationslust, wenn ein ganz offensichtlich in Gottes besonderer Nähe gelebtes Leben zu Ende gegangen ist.
Es gibt solche Menschen, denen man ihren Glauben und ihre Beziehung zu Gott ansieht. Oder besser: deren Glauben man daraus spürt, wie sie mit ihren Mitmenschen umgehen, wie sie Konflikte lösen, wie sie sich Problemen stellen. Es gibt Menschen, in denen Gott ein Gesicht bekommt. Menschen, in denen der Himmel die Erde berührt. Menschen, an denen sich ablesen lässt, was das heißt: Christ sein, glauben, die Liebe leben – heilig sein. Vielleicht ist das der Sinn der wunderschönen Legende von Veronika, der

Eustachius Kugler Portrait

Eustachius Kugler Portrait

Jüngerin Jesu, die entschlossen aus der Zuschauermenge heraustrat und dem zur Hinrichtung geführten Jesus Blut, Schweiß und Schmutz vom Gesicht wischte – und mit dem Abdruck seines Antlitzes auf ihrem Schweißtuch belohnt wurde. Was nichts anderes heißt als: Gott hat ein Gesicht, voll Blut und Tränen, Güte und Kraft. Und Gottes Gesicht sehen wir, wenn es uns ein anderer Mensch zeigt. Denn Veronika hat ihr kostbares Andenken nicht irgendwo eingeschlossen, sondern nach der Legende andere damit geheilt.

Eine ähnliche Erfahrung haben die Zeitgenossen wohl mit Frater Eustachius Kugler gemacht. Als er am Pfingstmontag des Jahres 1946 starb, mit 79 Jahren, an Magenkrebs, berichtete ein Augenzeuge, der Tote habe wie ein glückliches Kind unter dem Christbaum ausgesehen. Die Menschen vergaßen ihn nicht, sie begannen ihn lange vor der kirchlichen Seligsprechungsprozedur um Hilfe und Geleit anzurufen, sie besuchten sein Grab – zunächst auf dem bescheidenen Brüderfriedhof des Regensburger Krankenhauses, seit 1956 dann in der Krypta der von ihm erbauten Krankenhauskirche St. Pius, seit 1982 dort in der neu errichteten Gedächtniskapelle.Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits zahlreiche Bitten um Seligsprechung des einstigen Provinzials bei den zuständigen Stellen in Rom. Kardinal Cody von Chicago hatte geschrieben, Erzbischof Cabana von Sherbrooke (Kanada) und Bischof Häring von Shanghai, die Oberhirten von Maitland (Australien) und Lafayette (Lousiana), insgesamt 66 Kardinäle und Bischöfe sowie 30 Ober von Ordensgemeinschaften. So ein überflüssiger Aufwand um meine unbedeutende Person, hätte Frater Eustachius kopfschüttelnd gesagt – nachsichtig lächelnd oder auch in heller Empörung.
Der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Graber (gestorben 1992) wusste es besser. Als in Regensburg von 1963 bis 1965 der sogenannte Informativprozess stattfand, nach damaliger Verfahrensordnung die auf Bistumsebene erfolgende Vorstufe des eigentlichen Seligsprechungsverfahrens, mit der gründlichen Vernehmung von 69 Zeugen, da argumentierte er in einem Brief an Papst Paul VI., eine Seligsprechung Kuglers solle den Rückgang der Ordens‑ und Pflegeberufe überwinden helfen. Graber: „Ihn hat Gott gerade für unsere Zeit auf den Leuchter gestellt.“ Und dann merkte der Bischof noch an, für die Arbeit im Alltag bedeute es eine große Ermunterung, „einen Menschen der Vollendung schauen zu dürfen.“

Geschrieben am 19. August 2009

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