Keine Angst vor Innovation – wenn sie dem Menschen dient!

Als im Dezember 1930 das Frauenkrankenhaus (anfangs waren die Regensburger Bauten noch in Männer‑ und Frauengebäude getrennt) der Barmherzigen Brüder in Regensburg fertig gestellt war, gerieten die Fachleute ins Schwärmen: Es handle sich um eines der modernsten Krankenhäuser Deutschlands und um eine absolut zukunftsweisende Einrichtung. Licht‑ und Lufttherapie wurden großgeschrieben: Großflächige Fensterfronten nach Süden, Balkone und Terrassen sorgten für lichtdurchflutete Zimmer. Schall‑ und Wärmedämmung waren für den an Walter Gropius und dem Dessauer Bauhaus geschulten Architekten Albert Boßlet selbstverständlich. Und jedes Bett hatte Radio‑ und Telefonanschluss – damals eine kleine Sensation. Die Empore der Kirche war von den Patientenzimmern aus befahrbar.

Der in seiner Frömmigkeit und seinen Ansichten scheinbar so altmodische Frater Eustachius Kugler, der als Provinzial der Barmherzigen Brüder das Regensburger Millionenprojekt gegen alle Widerstände im Orden und in der Kommunalpolitik durchsetzte, hatte überhaupt keine Scheu, komplett neue Wege zu beschreiten – wenn er von einer Sache überzeugt war.

Regensburger Krankenhaus 1929

Regensburger Krankenhaus 1929

 

Die Innovationen nach den Wirren der Nazi-Zeit und des Krieges – damals waren Krankenhäuser und Pflegeheime überall zu Lazaretten umfunktioniert worden – hat er nicht mehr erlebt; Eustachius Kugler starb am 10. Juni 1946 im Alter von 79 Jahren. Die letzten noch bestehenden Krankensäle wurden in Zwei‑ und Drei-Bett-Zimmer verwandelt. Neueste medizinische Errungenschaften wie Strahlentherapie, Computertomographie, Echokardiographie komplettierten das Angebot, darunter die erste nuklearmedizinische Therapiestation der Oberpfalz. Auch weil hochkomplizierte und teure neue Fachbereiche wie die Neurochirurgie nicht einfach doppelt angeboten werden konnten, hat man die Trennung in Männer‑ und Frauenkrankenhaus längst aufgegeben.

Frater Eustachius hat das nicht mehr erlebt – aber er hätte es bestimmt gut geheißen. Er hatte nichts gegen Innovation und war ein begeisterter Neuerer – wenn die Neuerung einen Sinn machte. Das heißt, wenn sie dem Menschen diente. Präziser gesagt: Wenn sie dem kranken Menschen diente und seiner Würde. Der ehemalige Generalprior der Barmherzigen Brüder, Pierluigi Marchesi, zitierte vor einigen Jahren in einer Botschaft an den Orden einen afrikanischen Bischof mit der Forderung: „Wenn es im Krankenhaus einen Herrn gibt, dann muss dies der Kranke sein!“ Was freilich – ernst genommen – das ganze Geschehen in der Klinik verändere: die „unmögliche Zeit der Visiten“ (Marchesi), das Gebaren eines „wie Unteroffiziere“ auftretenden Pflegepersonals, die Aussperrung der Angehörigen, die Arroganz gegenüber dem Kranken, der Aufklärung über seinen Zustand verlange.

Marchesi hätte auch den bayerischen Provinzial Kugler anführen können, der in seiner schlichten Art zu sagen pflegte, man müsse in jedem Kranken Jesus Christus sehen und ihn entsprechend lieben und behandeln. Denn der große Neuerer Eustachius Kugler mit seinem scharfen Blick für notwendige Veränderungen und lohnende Innovationen blieb dort hartnäckig konservativ, wo es um die geistige Substanz des Ordens ging und um die tiefste Motivation seiner Arbeit: dem Dienst an den Menschen, weil Gott sie alle als Schwestern und Brüder geschaffen hat und jeden einzelnen unendlich liebt.

Geschrieben am 19. August 2009

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